Anlässlich des internationalen Weltfrauentags hat sich Vera Lemke, Verantwortliche für Mentoring-Programme für Frauen von der Beratergruppe QUBIC, die Zeit genommen ihre Einschätzungen und Erfahrungen zum Thema „Frauen im Krankenhaus“ zu teilen. Vera arbeitet seit 2018 im Bereich Gleichstellungsarbeit im Krankenhaus und widmet sich sowohl auf individueller Ebene als auch strukturell der Chancengleichheit im Krankenhaus.
Wie ist deine Einschätzung zur „gläsernen Decke“ in deutschen Krankenhäusern?
Mein erster Gedanke war, dass es im Krankenhaus keine gläserne Decke gibt, sondern eine aus Beton! Allerdings bringt der Begriff die Situation gut auf den Punkt. Frauen sind im Karriereverlauf mit nicht sichtbaren Barrieren konfrontiert, die sich oft an der Schwelle zu oberen Führungspositionen bemerkbar machen und denen Männer mit vergleichbarer Qualifikation nicht in der Weise ausgesetzt sind. Im ärztlichen Dienst zieht sich die gläserne Decke beispielsweise an der Stufe zur Oberärztin und auch in der Pflege ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Verhältnis zu den Beschäftigen geringer. Deshalb gilt es unsichtbare Hindernisse sichtbar zu machen und mit vereinten Kräften – also von unten und von oben – Löcher ins Glas zu bohren und Durchgangsmöglichkeiten für alle zu schaffen.
Wieso ist die Chancengleichheit nicht nur für den/die einzelne/n von Bedeutung, sondern auch für das „Unternehmen“ Krankenhaus?
Hier gibt es drei zentrale Aspekte, die eng miteinander verknüpft sind: Durch den Fachkräftemangel haben Krankenhäuser als Unternehmen immer mehr Handlungsdruck was die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitenden angeht. Es kann sich schlichtweg niemand mehr leisten auf Frauen als Arbeitskräfte im Krankenhaus zu verzichten. Wo wir auch schon beim zweiten Stichwort wären: „Die Medizin ist weiblich“ und dies schon seit Längerem. Das bedeutet für das Unternehmen Krankenhaus, dass Rahmenbedingungen so gestaltet werden müssen, dass sie auch für Frauen attraktiv sind. Wichtig ist hierbei der dritte Aspekt: Wenn sich etwas für Frauen verbessert, verbessert es sich für alle. Chancengleichheit ist kein Kuchen, sondern etwas, das mit dem Teilen sogar noch wächst.
Wie kann man sich das Konzept des Mentoring innerhalb von TransKoK vorstellen?
Drei Säulen machen Mentoring aus: Die erste Säule besteht aus Gesprächen im Tandem zwischen einer Frau, die ihre Karriere selbst gestalten möchte (Mentee) und einer erfahrenen Führungskraft, die die Mentee bei ihrer Entwicklung unterstützt und begleitet (Mentor bzw. Mentorin). Das Seminarprogramm für Mentees, in dem Schlüsselqualifikationen erlangt werden, stellt die zweite Säule dar und die dritte Säule ist das Netzwerk, das unternehmensweit auf- und ausgebaut wird. Eine Mentee beschrieb Mentoring als ein „aneinander miteinander Wachsen“, was die wechselseitige Beziehung sowohl im Tandem zwischen Mentee und Mentor bzw. Mentorin als auch innerhalb der Menteegruppe und zwischen Mentoren und Mentorinnen deutlich macht.
Geht es beim Mentoring für Frauen nur um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Ganz im Gegenteil! Meine Erfahrung ist, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar eines von vielen Themen für Frauen – und auch für Männer – im Krankenhaus ist, die meisten Mitarbeitenden diesbezüglich aber so gut organisiert sind, dass sie sich anderen Themen widmen können und wollen. Zu den Anliegen der Mentees gehören unter anderem die Planung des nächsten Karriereschrittes, die Herangehensweise an die Umsetzung dieses Schrittes, aber auch Themen wie Wechsel ins Management bzw. in außerklinische Bereiche oder die Möglichkeit wissenschaftlich tätig zu sein.
Mit welcher Haltung und Motivation kommen Frauen aus dem Arbeitsalltag in das Mentoring-Programm?
Da reicht das Spektrum von Neugierde bis Frust – je nachdem an welchen Themen, Karriereschritten und Entwicklungszielen die Frauen arbeiten und wie lange sie schon eine Entwicklungsmöglichkeiten und Veränderung wünschen. Die gemeinsame Motivation besteht darin eigenverantwortlich eine Veränderung in der Karriere anzugehen.
Wie ist die Resonanz nach dem Mentoring-Programm?
Der Punkt, von dem alle profitieren und der uns häufig zurückgemeldet wird, ist der Perspektivwechsel. Mentees erhalten durch ihren Mentor bzw. ihre Mentorin einen Einblick in die Denkweise und Herausforderungen von Führungskräften, lernen kennen was für ihre/n Vorgesetzte/n wichtig ist. Mentoren und Mentorinnen bekommen in den Gesprächen mit ihrer Mentee aufgezeigt, wie Führungsverhalten bei Mitarbeitenden ankommt und können ihre eigene Führungsrolle reflektieren. Auch die Mentees untereinander bemerken, dass sie ähnlichen Herausforderungen und Themen begegnen, können sich gegenseitig dabei unterstützen ihre Ziele zu erreichen. Nicht zu unterschätzen ist die veränderte Perspektive aller Beteiligten auf das Unternehmen Krankenhaus, das durch Mentoring als großes Ganzes wahrgenommen wird. Der Blick geht über die eigene Station bzw. die eigene Abteilung hinaus und andere Fachdisziplinen, Bereiche und Berufsgruppen verknüpfen sich mit Personen, die vielleicht sogar ähnliche Ziele verfolgen wie man selbst.
Wie kann das Konzept nachhaltig in das Krankenhaus implementiert werden?
Neben den nicht zu unterschätzenden und nicht selbstverständlichen Rahmenbedingungen wie der Unterstützung durch die Geschäftsführung und andere wichtige Akteure, ist die Projektkoordination ausschlaggebend. Als Instrument zur Förderung weiblicher Mitarbeitender hat sich die Angliederung an das Gleichstellungsreferat des jeweiligen Krankenhauses als sehr geeignet erwiesen. Im Mentoring für Frauen werden viele Themen behandelt, die Gleichstellungsbeauftragte aus ihrer Alltagsarbeit kennen.
Das TransKoK-Projekt begleitet Krankenhäuser bei der Etablierung und Durchführung von Mentoring-Programmen für Frauen. Dabei schöpfen wir aus den Erfahrungen vorheriger Projekte. Die Teilnahme ist wie bei allen anderen Angeboten von TransKoK kostenfrei und individuell auf das jeweilige Krankenhaus zugeschnitten. So gibt es beispielsweise berufsgruppenübergreifendes Mentoring für alle Frauen im Krankenhaus, aber auch Mentoring für Frauen in der Pflege und Mentoring für Frauen mit Migrationsgeschichte.